Deichläufer, bleib bei deinen Deichen

Harzquerung 2016: Eine Hiobsbotschaft, kleine Katastrophen, ein harter Lauf und ein fertiger Deichläufer. Achtung, langer Post!

Vier Tage vor Abreise in den Harz erfahre ich von Hermann, dass er die Harzquerung nicht laufen kann, da er sich das Knie verletzt hat, der worst-case für einen Läufer. Trotzdem wollte Hermann mitkommen und stattdessen so den Harz genießen, etwas Fahrradfahren und mir an der Strecke Zuspruch geben. Dafür zolle ich Hermann größten Respekt, ich weiß nicht ob ich das so gekonnt hätte.

Zwei Tage vor der Harzquerung schrieb ich wegen des Winterfrühlings an den Veranstalter, ob eventuell noch mit Schnee auf der Strecke zu rechnen wäre und erhielt diese Anwort:

E-Mail

Anmerkung der Redaktion: Sophienhof liegt bei Kilometer 31

Super, dass war genau die Nachricht, die mir Flachlandtiroler noch gefehlt hat. Aber nun denn, ein echtes Nordlicht kennt keinen Schmerz (glaubte ich zu dem Zeitpunkt noch) .

Freitag dann, eine zum Ende hin, recht stauträchtige Anreise und Bezug unserer schönen Ferienwohnung im Startort Wernigerode.

29.04.16 01

Nach abendlichen Pasta-Carboloading bei einem Italiener ging es für mich früh ins Bett um des Lampenfiebers wegen schlecht zu schlafen. Damit hatte ich aber gerechnet und nahm es sportlich.

Für den Lauftag hatte ich alles vorbereitet und brauchte mich am Morgen nur noch in die Laufklamotten zu schwingen um dabei festzustellen, dass sich bei der Lauftight im Schritt die Naht auflöste.

Loch

Ein leichtes Zuppeln an der Restnaht zeigte, dass da nicht mehr viel Halt drin war. Ich hatte aber nur diese eine Tight eingesteckt, weil ich bei dem Kleidungsstück sicher war, dass es das richtige ist, echt klasse. Aus der Not heraus fiel die Wahl dann auf meine Schlönz- und Schlubberkurzehose, die ich nur zum Sofalümmeln trage. Die Notlösung war aber eine gute Wahl und die Hose trug sich auf dem gesamten Lauf wunderbar.

Jetzt durfte es dann aber auch endlich losgehen. Das Wetter war klasse, Wolken und Sonne im Wechsel, nicht viel Wind und frische Temperaturen, die über den gesamten Lauf nicht zu warm wurden. Mein Windbreaker konnte noch vor dem Start in den Rucksack wandern, perfekt. Die Harzquerung hatte auf der 51-km-Hauptstrecke eine Rekordbeteiligung von um die 600 Läufern. Das führte gleich zu Beginn, an den anfänglichen Nadelöhren zu Megastaus und die ersten drei Kilometer vergingen mit Tempi von 11 bis 13 Minuten für den Kilometer. Das war bekannt, erwartet und deshalb kein Problem.

Ansonsten war die Strecke wieder wunderschön und dank zwei warmer Tage bis auf ein paar ganz klägliche Reste doch schneefrei. Hurra!!

Trotzdem merkte ich ziemlich bald, dass bei mir irgendwie der Wurm drin war. Im rechten Fuß murrten die Sehnen und schon bei Kilometer 15 fühlte ich mich recht angestrengt. Eine sacht bergabführende Forststraße habe ich zwar mit 5:16er Tempo völlig überpacest ohne es zu merken, aber ansonsten blieb das Tempo (noch) auf dem von mir angestrebten Level.

Noch vor Kilometer 20 überkam mich leicht Übelkeit und ich fühlte mich insgesamt irgendwie etwas angeschlagen. Einen kurzen Augenblick überlegte ich am 20 km-Verpflegungspunkt den Weg der 25 km-Läufer nach Benneckenstein einzuschlagen, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder und bog brav auf die 51-km-Route ab.

Am 20-km-Verpflegungspunkt wollte eigentlich auch Hermann stehen,  er war aber nicht dort und ich fürchete, dass sein Knie auch das Fahrradfahren nicht zuließ. Um so größer war die Freude, ihn dann wenige Kilometer später an der Stelle zu treffen, wo die in Benneckenstein gestarteten 28 km-Läufer auf die 51 km-Strecke bogen.

Hermann bot mir 5-Korn-Kekse an und ich nahm mir zwei, drei Minuten Zeit für ein kleines Schwätzchen. Knapp die Hälfte der Strecke war hier für mich geschafft.

Dann ging der Ritt weiter, der zunehmend beschwerlicher wurde. Die auf den ersten Kilometern mühsam erklommenen Höhenmeter wurden ab jetzt im noch angenehmen „Downhill“ auf schmalen Pfaden wieder abgebaut. Die Harzquerbahn wurde zweimal gequert, aber leider war keine Dampflokomotive zu sehen.

Während des Laufens ergaben sich einige, nette, aber meist kurze Gespräche mit Mitläufern, von denen viele die Harzquerung als Vorbereitung für den Rennsteiglauf in drei Wochen mitnahmen. Angesichts meines Erschöpfungsgrades unvorstellbar für mich 😯 Schließlich maulte nun auch zwischendurch mal meine recht Hüfte und auch der Magen zeigte immer mal wieder wenig Begeisterung.

Bei Kilometer  35 begann der drei Kilometer lange Anstieg auf den Poppenberg (in der Bilderserie oben auf dem dritten Bild zu sehen) Oben angekommen (gehend natürlich, wie an den meisten Steigungen) war ich fertig mit Jack und Büx und brauchte am dortigen Getränkestand eine Verschnaufpause. Von nun an ging es aber eigentlich nur noch bergab, aber so steil, dass ich das diesmal im Gegensatz zu vor zwei Jahren auf der 28 km-Strecke nicht mehr laufen konnte. So ging ich im steilen, trabte wo es nicht so steil war.

Die Marathondistzanz vollendete ich nach 5:55 Stunden. Der Spaß war vorbei und ich weiß nicht genau, was wirklich streikte, der Körper oder der Kopf. Die letzten Steigungen ging ich, alles andere war ein häufiger Wechsel aus Gehen und Laufen. Drei Kilometer vorm Ziel ging es noch einmal stramm bergauf und mit meiner Laune genauso stramm bergab. Vorallem weil der danachfolgende Kilometer über einen lehmigen, unendlich buckeligen, schmalen, mit hohen Gras bewachsenen Pfad durch Rapsfelder führte. Das war nach 49 km nur noch der Horror und nur noch ein anderer Läufer konnte mich motivieren auf dem letzten Kilometer das Laufen noch wieder aufzunehmen. Ihm gilt deshalb großer Dank und wir trabten gemeinsam ins Ziel. Auf den letzten Metern und im Ziel kämpfe ich mit den Tränen. Aber immerhin nicht vor Erschöpfung sondern vor Emotionen.

Im Ziel gab es als Zielverpflegung labberige Brötchen und lauwarmen gesüßten Tee. Erbsensuppe, Bockwurst und Bier gab es gegen Geld. Das hatte ich allerdings vergessen einzustecken und war dankbar und konnte es nicht ablehnen, als mir ein anderer Läufer das letzte Drittel seiner Flasche anbot.

Unnötig Streß machte dann der Veranstalter, indem immer jemand rief, dass gleich der letzte Bus zurück nach Wernigerode fährt (was nicht simmte). So ging es schnell unter die Dusche und dann ab in den Bus, in dem nicht mal alle Läufer einen Sitzplatz fanden. Das war nicht gut, da die Fahrt eine gute Stunde dauerte. Aber auf halber Strecke stiegen einige aus, so dass auch die letzten Geschundenen endlich sitzen konnten. In Wernigerode verabschiedete ich mich von meinem Zielläufer. Für ihn war die Harzquerung das Jahreshighlight, wie symphatisch 😀

01.05.2016 01

Am nächsten Morgen auf dem Frühstückstisch

😀

51 km, 1360 Höhenmeter. Ich habe meine Ziel unter sieben Stunden zu bleiben, mit 7:05 Stunden knapp verpaßt. Das ist nicht so schlimm. Schlimmer ist, dass sich nach dem Lauf und auch am Tag 1 nach dem Lauf keine rechte Freude über das Erreichte eingestellt hat. Erst heute am Tag 2 nach dem Lauf sackt das Ganze so langsam, verbunden mit einem noch nie dagewesenen Muskelkater in den Oberschenkeln und einer Blase an der linken Ferse.

Für die mentale Verarbeitung eines Laufs habe ich noch nie so lange gebraucht. Ich werde ihn noch nicht abschließend bewerten. Ich hätte nach der guten Vorbereitung nicht gedacht, dass es so hart wird. Aber irgendwie war etwas der Wurm drin.

Der anfängliche Gedanke steht in der Überschrift: Deichläufer bleib bei deinen Deichen. Vielleicht braucht es aber auch noch einmal eine Revanche. Und ich habe Hermann gesagt, wenn er die Harzquerung nochmal angehen will, lasse ich ihn dabei nicht alleine!