Am Utkiek nichts neues, immer noch dunkel (der viertelstündige Tagesgewinn im Vergleich zur letzten Woche wurde durch den wolkenverhangenen Himmel wieder aufgezehrt) und wir waren nur zu zweit. Nichts berichtenswertes also.
Das ist ein willkommener Anlaß meine bislang recht stiefmütterliche Rubrik „Gedankenwelten – Themen abseits vom Laufen“ mal wieder zum Leben zu erwecken.
Christian griff vor ungefähr drei Wochen in einem Post das Thema Flüchtlinge auf. An diesem Punkt möchte ich heute anknüpfen.
Seit geraumer Zeit ist das Thema Flüchtlinge auch mein berufliches Thema. Konkreter gesagt das Thema Unterbringung. In meiner Heimatstadt ist es politischer Wille Flüchtlinge dezentral, sprich in Wohnungen und Häusern unterzubringen. Genau das ist mein Aufgabengebiet. Bis dato habe ich u. a. die gesamte vertragliche Abwicklungen entsprechender Anmietungen durchgeführt. Auf diesem Wege ist es gelungen Hunderten von Flüchtlingen eigenen Wohnraum zuweisen zu können.
Und das hat nur Vorteile: Integration gelingt am besten, wenn sich die Flüchtlinge nicht an wenigen Punkten konzentrieren, die Flüchtlinge selber sind glücklich nach teilweise sehr langer Zeit einen eigenen Bereich mit Intimsphäre für sich zu haben und schlußendlich ist es sogar eine vergleichsweise „kostengünstige“ Unterbringung.
Allerdings ist diese Arbeit eine Sisyphusarbeit, an der ich mich (ja, ich muß das leider mal so sagen) nahezu totmalocht habe. Die Flüchtlingszahlen sind aber so dramatisch gestiegen, dass trotz all dieser Arbeit, trotz all dieser Bemühungen eine dezentrale Untebringung aller nicht möglich ist und es leider absolut keine Alternative zu Massenquartieren gibt.
Seit drei Wochen nun habe ich die Organisationseinheit gewechselt (freiwillig auf meine Bewerbung hin) und bin nun direkt für die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen zuständigt. Zu meinem Kollegen, den ich nun vestärke, und mir kommen tagtäglich Menschen und beantragen nach langer Flucht und teilweise monatelanger Unterbringung in Kasernen, Turnhallen und Zelten in einer Wohnung/in einem Haus untergebracht zu werden.
Wie schon erwähnt, ist der Bedarf leider erheblich größer als die Anzahl an zur Verfügung stehenden Wohnungen und Häusern. Und so gilt es jeden Tag Menschen teilweise wochen- und monatelang zu vertrösten, die sich Tag für Tag und Nacht für Nacht in Großunterkünften mit Hunderten von anderen Menschen arrangieren müssen.
Ich hatte am gestrigen Tag erstmals die Gelegenheit eine solche Unterkunft in einer großen Gewerbehalle zu besuchen. Dort leben Familien oder sich bis dato fremde Einzelpersonen in „Boxen“, in nur aus Pressspanplatten abgetrennten Verschlägen, deren Türen nur Vorhänge sind. Diese Boxen haben kein eigenes Licht, keine Steckdosen. Geht in der Halle das Licht aus, bleibt nur die Taschenlampe. Toiletten und Duschen befinden sich in Containern vor dieser Halle und sind mittlerweile glücklicher Weise über Spannplattenüberdachungen trockenen Fußes zu erreichen. Es sei denn, man hat nur noch Platz in dem zusätzlich aufgestellten Großzelt gefunden, die dürftigste aller Unterbringungsmöglichkeiten, dann führt der nächtliche Weg zur Toilette unter dem Sternenhimmel entlang oder durch den Regen oder durch den Schnee, je nach dem wie das Wetter gerade ist.
Die „Betten“ in den erwähnten Boxen bestehen aus Matratzen, die auf Paletten gelegt werden, weil es nicht mal mehr gelingt genügend Bettgestelle zu beschaffen. Inzwischen gehen sogar die Spinde aus. Und dies ist kein Unvermögen sondern schlicht und ergreifend erschöpften Kapazitäten geschuldet!
Wenn man das live sieht, dann kämpft man mit den Tränen. Das tut man um so mehr, wenn man erlebt, dass es einer einzigen engagierten Sozialarbeiterin gelingt unter über 240 Menschen ein friedliches Miteinander in Form einer Art Dorfgemeinschaft zu organisieren.
Das zu erleben, bestärkt mich in meinem Handeln. Jede Familie, jede Handvoll alleinreisender Männer oder Frauen, denen wir eigenen Wohnraum zuweisen können, sind ein Erfolg. Auch wenn wir oft genug die Schultern zucken müssen, in den Fällen wo wir diese Menschen aus den Notunterkünften und Aufnahmelagern herausnehmen können, erleben wir strahlende Gesichter, glänzende Augen und teilweise unglaubliche Dankbarkeit.
Da verliert die eigene Mühsal an Bedeutung, man fühlt sich bestärkt in dem was man tut und sammelt neue Kräfte.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber auch einmal darstellen, dass Flüchtlinge nichts anderes sind als ganz normale Menschen. Menschen mit Stärken und Schwächen. Menschen, die genauso dankbar und undankbar, genauso freundlich und unfreundlich, genauso anspruchsvoll und bescheiden, genauso liebswert und nervig sind, wie wir Deutschen, wie wir Europäer auch.
Es sind aber Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Terror geflohen sind. Die die Hoffnung auf ein Leben in Frieden in einer besseren Welt aus ihrer Heimat getrieben hat und nun vielfach in Notunterkünften gestrandet sind.
Die bereits erwähnte Sozialarbeiterin, die für ihr vertraglich befristetes Tun in meinen Augen das Bundesverdienstkreuz verdient hat, deutete auf das Essen, das die Flüchtlinge bekommen (gutes, aber eben auch sehr deutsches Essen) und sagte: Da liegt das „Heimweh auf der Zunge“. Ein bezeichnender Satz. Niemand verläßt leichtfertig seine Heimat!
Wer nun glaubt, dass die Masse dieser Flüchtlinge, ihr Leben aufs Spiel setzend, um in nicht seetüchtigen Schlauchbooten, wohlwissend, dass sie nicht schwimmen können, oder in wochenlanger strapazöser Flucht zu Fuß mit Kind und Kegel Hunderte von Kilometern im Winter über den Balkon ziehend, nach Deutschland kommen, nur um Wohlstand und Reichtum einzukassieren, der irrt gewaltig!
Deutschland kann nicht die Probleme dieser Welt im eigenen Land lösen, aber einfach die Grenzen dichtmachen: Nein, das ist kein Alternative. Ich weiß wirklich nicht den Königsweg, aber laßt uns versuchen, den Menschen die hier sind menschlich zu begegnen. Die allergrößte Zahl von ihnen ist dankbar und hat es verdient.
P.S.: Ich habe Bilder dieser Boxen in der Notunterkunft gemacht. Aber ich möchte diese nicht zeigen. Das Fernsehen ist schon zu voll von solchen Bildern, die Worte müssen diesmal, bei diesem Thema als Ausdrucksmittel reichen.